Die Kraft des Möglichen

Als Designer fühle ich mich manchmal wie ein Kind im Schlaraffenland. Ich darf mir alles vorstellen, alles entwerfen und alle Produkte zu den Besten aller Möglichen machen. Leider gilt das fast ausschließlich für sogenannte Visionen. Man könnte auch sagen Wünsch-dir-was.

Alle realistischen Ideen und besonders Aufträge für die kommerzielle Nutzung unterliegen Einschränkungen. Nicht jedes Material ist verfügbar, eine bestimmte Zielgruppe soll angesprochen werden und, die wichtigste Einschränkung, das ganze hat wirtschaftlich zu sein.So wird aus dem bunten Zuckerwatteland schnell wieder eine norddeutsche Tiefebene (obwohl, die ist schön beruhigend). Die kreative Entfaltung und Möglichkeiten scheinen eingeschränkt, ja beschränkt. Fast macht sich Enttäuschung breit, die eigenen Wünsche und Visionen müssen wieder dem Imperativ des Möglichen weichen?

Nein, ich empfinde es inzwischen als die Kraft des Möglichen. Die Einschränkung wird zur Spielregel, zur Herausforderung, das Beste aus den gegebenen Umständen zu machen. Wenn alle Freiheiten offen stehen, geht leicht das Maß für die Dinge verloren. Natürlich wäre es toll, wenn das neue Auto mit Wasserstoff angetrieben wird, aus Pflanzenfasern besteht, Platz für die ganze Familie bietet und sich fährt wie ein italienischer Sportwagen. Unmöglich? Nein, sicher nicht. Aber so ein Gefährt wäre prohibitiv teuer und aufwändig. Ist es nicht spannender zu schauen, wie man mit Stahl, Kunststoff, Glass und auch Naturfasern ein Fahrzeug ersinnt, dass bei geringem Verbrauch für jeden erschwinglich ist? Die Aufgabe ist mindestens genau so komplex, hat aber eine feste Richtung und treibt nicht von Superlativ zu Traum und Fantasie.

Dieses natürlich nur minimal übertriebene Beispiel soll verdeutlichen, warum ich klare Rahmen bei Projekten spannend finde. Wenn das neue Möbel nur einen bestimmten Einkaufspreis haben darf, wie kann ich trotzdem ein spannendes und nützliches Produkt gestalten? Wo finde ich Lösungen, die sparsam sind, aber nicht am Nutzen geizen? Was ist mit der Nachhaltigkeit? Bei solchen Projekten zeigt sich immer, dass eine enge Koordination mit dem Auftraggeber essentiell ist. Wenn ich weiß, dass die geplante Schraubverbindung kaum Kosten verursacht, ich dafür teure Bearbeitungsschritte vermeiden kann, dann befriedigt das Ergebnis mich, den Kunden und dessen Kunden.

Der Gedanke ist auf jede Aufgabe und jeden Beruf übertragbar. Sogar die berühmt-berüchtigte Verdoppelungsstrategie beim Roulette würde plötzlich funktionieren, wenn man unendlich viel Geld zur Verfügung hat. Abgesehen davon, dass man mathematisch gesehen immer noch keinen Gewinn macht, warum sollte man bei unbeschränktem Kapital überhaupt auf Gewinn zocken? Es funktioniert, ist aber sinnlos. (Bitte nicht ausprobieren, außer wenn sie sich mit unendlich Kapital langweilen sollten!)

Das Prinzip gilt überall: Man muss mit beschränkten Mitteln und Vorgaben möglichst viel erreichen Dafür lohnt es sich zu lernen, zu denken und kreativ zu arbeiten. Wenn ich meine verfügbaren Mittel intelligent einsetze, kann ich etwas nützliches oder sogar etwas großartiges schaffen. Es lohnt sich zu sehen, was man alles hat und zu vergessen, was man nicht hat. Eine kleine Einschränkung (oder ist es eine neue Freiheit?) gibt es: Wenn ich sehe, dass das Ziel auf einem anderen Weg noch besser erreicht werden kann, sollte ich mit demjenigen, der den Rahmen verändern kann, reden. Wenn ich einen konkreten Nutzen aus der veränderten Vorgabe nachweisen kann, wird ein kluger Mensch diese stets anpassen.

Wenn man alles benutzen darf, kann jeder jeden Beruf und jedes Handwerk ausüben. Der Reiz und die Herausforderung entsteht immer durch die Beschränkung und ökonomische Nutzung der Ressourcen. Wenn Sie ihre Arbeit so betrachten, dass Sie aus wenig viel schaffen können, weil Sie wissen wie das geht, haben Sie vielleicht sogar mehr Spass dabei.

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